Breitner Steuern

 

Nach dem Wahlsieg der Sozialdemokraten in Wien im Jahr 1919 übernahm der ehemalige Bankdirektor Hugo Breitner das Finanzreferat. In der wirtschaftlich so schwierigen Nachkriegszeit ging er sofort daran, die katastrophale Finanzlage Wiens in Ordnung zu bringen. Er entwickelte ein für seine Zeit völlig neuartiges Steuersystem, das von seinen Freunden und Feinden gleichermaßen „Breitner-Steuern“ genannt wurde.

Die neue Form der Besteuerung konnte auf den sehr einfachen Nenner gebracht werden: „Die Reichen sollen zahlen!“ Diese Politik muss aus einer eit heraus verstanden werden, in der einer kleinen Zahl sehr reicher Leute die Masse der armen Bevölkerung gegenüberstand, die nach dem Ersten Weltkrieg unter heute kaum noch vorstellbaren schlechten Lebensbedingungen leiden musste. Die direkte Luxussteuer sollte anstelle der indirekten Massensteuer, die alle gleich traf, denjenigen etwas nehmen, die sich ohnehin einen aufwendigen Lebensstil leisten konnten.

Breitner Steuern musste zahlen, wer es sich in dieser tristen Zeit leisten konnte, Nachtlokale, Bars, Bordelle, Kabaretts, Pferderennen oder auch Boxkämpfe zu besuchen, wer ein Auto besaß oder sich ein Rennpferd hielt, wer in Luxusvillen oder Luxuswohnungen lebte. „Luxus und Vergnügen zu besteuern, um die Aufziehung eines körperlich gesunden, geistig freien, lebenstüchtigen und lebensfrohen Geschlechtes zu ermöglichen, ist der Grundgedanke der sozialdemokratischen Gemeindepolitik“, hieß es in einer Werbebroschüre.

Die einträglichsten Steuern aber waren die Fürsorgeabgabe, die alle zu entrichten hatten, die , die zu Erwerbszecken fremde Arbeitskräfte beschäftigten, und die progressiv gestaltete Wohnbausteuer, die im Jahr 1923 eingeführt wurde. Diese Steuern, erklärten die Sozialisten im Wahlkampf, brächten jährlich 103 Millionen Schilling ein: „Das ist ebenso viel als die Gemeinde Wien für ihre Wohnbautätigkeit aufwendet. Der Mieterschutz schließt die private Wohnbautätigkeit aus; soll der Mieterschutz erhalten werden, so muss die Gemeinde Wohnungen bauen. Diese Steuern sind also die Prämie für die Sicherung des Mieterschutzes, für die Ermöglichung der kommunalen Bautätigkeit, für die Hebung der Wohnkultur der breiten Volksmassen.“

Diese Steuerpolitik ermöglichte es der Gemeinde Wien, in der wirtschaftlich so schlechten Zwischenkriegzeit ein imponierendes soziales Aufbauwerk durchzuführen. Mit den Breitner-Steuern wurden 1923 bis 1933 rund 64 000 Wohnungen geschaffen. Aus den Mitteln der Breitner-Steuern wurde ferner die Stadtbahn elektrifiziert, wurden neue Parkanlagen angelegt. Mit Breitner-Steuern konnten unter Stadtrat Julius Tandler die gesundheitliche Einrichtung um vieles verbessert, die Kinder und Jugendfürsorge ausgebaut werden: Neue Heilstätten, Kindergärten, Horte, Bäder und Kinderfreibäder wurden errichtet. Lehrlingsheime, Schulzahnkliniken, Mütterberatungsstellen, Säuglingswäschepakete, Kinderausspeisungen – all das gehörte nun zum neuen „Neuen Wien“ wie die Kommunalpolitiker selbst ihr Werk nannten.

Ein erheblicher Teil der sozialdemokratischen Propagandabemühungen war auch 1927 der positiven Präsentation der von den Bürgerlichen so befehdeten Breitner-Steuern gewidmet. Kaum anderswo in einer bildlichen Darstellung wurde die Zielrichtung der Breitner Steuern so drastisch und markant zum Ausdruck gebracht wie in diesem Slama-Plakat.